19. Dezember 2016
Seit Jahren leiden viele Städte unter zu hohen Stickstoffdioxid (NO2)-Belastungen. Betroffen ist vor allem die Gesundheit der Menschen, die in den Innenstädten leben. Baden-Württemberg schlägt im Bundesrat eine Initiative für die Einführung einer blauen Plakette vor.
Nach Angaben des Umweltbundesamts über die Luftqualität lagen die Stickstoffdioxid-Werte im Jahre 2016 an vielen Meßstellen oberhalb des zulässigen EU-Grenzwertes von 40 μg/m3. An fast allen verkehrsreichen Straßen mit enger Randbebauung in deutschen Städten treten hohe Stickstoffdioxid (NO2)-Belastungen auf. Auslöser für die Belastungen sind vor allem Dieselfahrzeuge. Betroffen sind über 90 Städte. Das Umweltbundesamt fordert: „Diesel-Pkw müssen schrittweise aus den Innenstädten verschwinden, Umweltzonen sollten ausgeweitet und verschärft werden“ (zu den Werten an den einzelnen Meßstationen siehe die Veröffentlichung des Umweltbundesamts 2017).
Die EU hat in 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet, da in einigen Gebieten latent die Grenzwerte überschritten werden. Es drohen daher Strafen. Den betroffenen Städten bleiben jedoch kaum Möglichkeiten, diese Situation zu verändern. Eine Verbesserung des ÖPVN-Angebotes und der Ausbau von Radwegen sind ein Lösungsweg, der allerding eher langfristig Wirkung zeigt. Ohne deutliche Reduzierung der Emissionen der Fahrzeuge wird es jedoch nicht gehen.
Nun hat Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann hat eine Initiative in den Bundesrat zur Einführung einer Blauen Plakette in Umweltzonen eingebracht. Es geht um eine Novelle der 35. BImSchV.
Bisher ist die Kennzeichnung der Fahrzeuge primär auf die Partikelemissionen und somit auf die Reduzierung der Feinstaubbelastung ausgerichtet. Grenzwerte für Stickoxide beinhalten die bisherigen Plaketten jedoch nicht. Die aktuelle 35. BImSchV unterscheidet nicht zwischen Kfz der Schadstoffnormen Euro 4, 5, 6 bzw. (bei Lkw) IV, V, VI. Diesen Kfz sowie teilweise auch den mit offenen Dieselrußpartikelfiltern nachgerüsteten Euro 3 / III-Fahrzeugen wird bisher einheitlich eine grüne Plakette zugeteilt. Dieser Mangel würde durch die Einführung einer weiteren, nunmehr Blauen Plakette behoben, die auch explizite Grenzwerte für Stickoxide vorschreibt.
Nach der Dieselgate-Affäre wissen wir zwar, dass Euro 6-Fahrzeuge im Realbetrieb mehr Schadstoffe ausstoßen als erlaubt. Gleichwohl sollte im Interesse der Gesundheit der Menschen in den Innenstädten auf eine schnellere Verbreitung von Euro 6 / VI-Dieselfahrzeugen bzw. grundsätzlich auf eine Modernisierung der Fahrzeugflotte hingewirkt werden. Dies kann durch die Einführung einer blauen Plakette angereizt werden. Zugleich müssen Abgasschwindelleien wirksam beseitigt werden.
Baden-Württemberg schlägt vor, für hoch emittierende Fahrzeuge Fahrverbote in Umweltzonen festlegen zu können. Das bestehende Plakettensystem soll um mindestens eine zusätzliche, die blaue Plakette erweitert werden.
Zunächst soll sich nur die Möglichkeit der Kennzeichnung der Fahrzeuge ändern. Mit der Änderung der 35. BImSchV könnten bundeseinheitlich besonders emissionsarme Fahrzeuge mit einer neuen (blauen) Plakette gekennzeichnet werden. Mit der blauen Plakette würde es betroffenen Städten ermöglicht werden, unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zu einem angemessenen Zeitpunkt nur noch Kraftfahrzeugen mit niedrigen Stickstoffoxidemissionen die Einfahrt in Umweltzonen zu erlauben. Die Festlegung von Verkehrsbeschränkungen auf der Grundlage der blauen Plakette soll vor Ort entschieden werden können. Sie kann, muss aber nicht erfolgen. Blaue Umweltzonen sollten von Kommunen nur eingeführt werden, wenn keine anderen Luftreinhaltemaßnahmen mit geringerer Eingriffstiefe mehr zur Verfügung stehen, um die Immissionsgrenzwerte schnellstmöglich einzuhalten.
Die blaue Plakette in der von Baden-Württemberg vorgeschlagenen Variante können alle Kraftfahrzeuge mit Antrieb ohne Verbrennungsmotor (z.B. Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge), alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren (benzin- und gasgetriebene Fahrzeuge), die mindestens der Schadstoffklasse Euro 3 / III genügen, und alle Dieselfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 / VI erhalten. Bei Hybrid- und Erdgas-Fahrzeugen ist die Eingruppierung des Verbrennungsmotors in die EURO-Schadstoffklassen entscheidend für die Zuordnung zur Plakette. Auch alle Elektrofahrzeuge würden die blaue Plakette erhalten.
Noch sind die Weichen nicht für schadstoffärmere Fahrzeuge hinreichend gestellt. Voraussetzung für die Einführung der blauen Umweltzone soll es nach dem Vorschlag aus Baden-Württemberg sein, dass die Maßnahme verhältnismäßig bleibt. Das bedeutet u.a., dass eine ausreichend hohe Zahl an Fahrzeugen die Voraussetzungen für die blaue Plakette erfüllen muss. So sieht Baden-Württemberg – etwa für die am höchsten belastete Stadt Stuttgart – die Einführung einer blauen Umweltzone frühestens ab 2020 vor.
Der Vorschlag aus Baden-Württemberg hat zwar inzwischen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bewegt, ebenfalls einen Verordnungsentwurf vorzulegen, der den betroffenen Kommunen Fahrverbote ermöglicht, Fahrverbote auszusprechen. Der Vorschlag von Hendricks geht über die Baden-Württemberger Initiative hinaus und lässt den Kommunen weitere Möglichkeiten für Fahrverbote offen: Neben der Differenzierung durch zusätzliche Umweltplaketten, sollen die Kommunen bei Grenzwertüberschreitungen auch die Möglichkeit haben, Differenzierungen zwischen geraden und ungeraden Nummernschildern und zwischen Diesel und Benzinern vorzunehmen.
Bleibt zu hoffen, dass die Weichen für mehr schadstoffreduzierte Fahrzeuge zügig gestellt werden. Die politischen Hürden dafür sind nach wie vor hoch. Winfried Herrmann konnte mit seinem Vorhaben auf der Verkehrsministerkonferenz im Oktober nicht die Mehrheit der Bundesländer gewinnen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sitzt das Problem aus. Siehe dazu die Antwort der Bundesregierung vom 3.11.2016 auf unsere Kleine Anfrage zum Thema. Die Behauptung Dobrindts, die Umstellung von Taxis, Bussen und Behördenfahrzeugen helfe bei der Reduzierung von Stickoxiden deutlich mehr als Einfahrverbote, ist nur eine leere Worthülse. Die Bundesregierung kann gar keine Zahlen nennen, die diese Behauptung untermauern. Die Umstellung kommt auch nicht voran, denn neue Förderprogramme sind gar nicht geplant. Auch wenn Umrüstungen grundsätzlich sinnvoll sind, wären sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn es sind Privatautos, die den städtischen Verkehr dominieren.
Auch der Vorschlag aus dem Hause Hendricks trifft nicht auf Dobrindts Zustimmung. Er hält die Förderung von Elektroautos für zielführender. Da er in der Vergangenheit sich auch auf diesem Gebiet nicht gerade hervorgetan hat, ist auch dies ist nur eine Ausrede, um nicht handeln zu müssen
Die Bundesratsinitiative aus Baden-Württemberg wurde am 4.11. erst einmal zur weiteren Debatte in die Bundesrats-Ausschüsse überwiesen werden. Immerhin kommt Bewegung in die Debatte für saubere Luft in unseren Städten.