Frauen in die Parlamente!

9. Januar 2019

Am 12. November gab es Grund zu feiern: Vor 100 Jahren wurde das Frauenwahlrecht eingeführt. Seither ist in den Parlamenten unseres Landes für Frauen viel erkämpft worden, doch bei Weitem ist nicht alles gut. Nach der letzten Bundestagswahl 2017 ist der Frauen­anteil im Bundestag erstmalig wieder gesunken - sogar unter den Wert von 1998.

Ein Beitrag aus der profil:GRÜN Dezember 2018 von Britta Haßelmann, Ulle Schauws und Katrin Göring-Eckardt

Ein paar Zahlen machen die Misere deutlich: Von 709 Abgeordneten sind nur 217 Frauen. Nur 13,2 Prozent Botschafterinnen hat das Auswärtige Amt. Und es gibt mehr Staatssekretäre mit dem Vornamen Hans als Frauen in dem Job. Das ist für uns nicht akzeptabel. Unsere Demokratie braucht dringend die Erfahrungen und das Wirken der weiblichen Hälfte unserer Gesellschaft. Deshalb ist es jetzt an uns Grünen, gemeinsam mit vielen Frauen und Männern Lösungen zur Frauenförderung und neue Wege wie Quote oder Parität voranzutreiben.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau durchzusetzen ist ein Staatsziel. Frauen müssen in politische Entscheidungsprozesse eingebunden sein und demokratisches Mitbestimmungsrecht haben. Das geht nur, wenn sie auch repräsentiert sind. Unser Grundgesetz gibt es in Artikel 3 Absatz 2 vor: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Aus unserer Sicht ist es an der Zeit, die Debatte um die Parität von Frauen in Politik, in Parteien und in unseren Parlamenten fundiert zu führen. „Die geringe Beteiligung von Frauen in den Parlamenten ist Verfassungsbruch in Permanenz“, befand Elisabeth Selbert, eine der Mütter des Grundgesetzes, im Jahr 1981. Wenn alle Parteien in ihren Reihen dafür Sorge tragen würden, dass Frauen in gleicher Weise wie Männer vertreten sind, würde sich das Problem von selbst erledigen. Wir Grüne im Bundestag zeigen, dass es möglich ist. Nicht nur reden, handeln ist deshalb die Devise. Es ist Zeit, dass die Parteien verbindlich sagen, was sie tun werden, um den Frauenanteil in ihren Reihen zu verbessern. Sie müssen erklären, wie sie die politische Kultur und Struktur ändern wollen, um Diversität herzustellen, die Vereinbarkeit von Politik und Familienleben zu verbessern, stereotype Machtstrukturen zu verändern und den Gleichstellungsauftrag umzusetzen.

Novemberrevolution brachte den Durchbruch

Unsere Vorkämpferinnen haben zu Beginn des letzten Jahrhunderts den Weg geebnet. Werfen wir einen Blick auf die historischen Anstrengungen und Errungenschaften der Frauenstimmrechtsbewegung. Denn die Verkündung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts „für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen“ durch den Rat der Volksbeauftragten am 12. November 1918 ist auch ihr Verdienst. Dieses Datum gilt als Beginn des Frauenwahlrechts in Deutschland. Darin gipfelten jahrzehntelange Kämpfe der Frauenstimmrechtsbewegung, die vor dem Ersten Weltkrieg in verschiedenen politischen Flügeln aktiv war. In ihrem Ziel waren sie sich einig, doch welches Stimmrecht sollte es sein – dasselbe, das die Männer hatten? Das hätte beispielsweise in Preußen auch für Frauen ein nach Steuerzahlungen gestuftes Dreiklassenwahlrecht bedeutet. Oder sollte man der Forderung der SPD nach einem allgemeinen Wahlrecht folgen? Für viele „bürgerliche“ Frauen kam die SPD jedoch als Bündnispartnerin nicht infrage. Kaiser Wilhelm II. deutete in seiner „Osterbotschaft“ 1917 eine Wahlrechtsreform in Richtung eines allgemeinen Wahlrechts an – ohne jedoch das Frauenstimmrecht zu erwähnen. Erst die Novemberrevolution brachte dann den entscheidenden Schritt zur Demokratisierung des Landes.

Erste Wahlen mit sensationellem Ergebnis

Am 19. Januar 1919 fanden die ersten Wahlen zur Nationalversammlung statt. Frauen hatten erstmals im ganzen Land das aktive und passive Wahlrecht. Eine Wahlbeteiligung von über 80 Prozent zeigt, dass die Frauen von ihrem errungenen Recht Gebrauch machten. Von den rund 300 Kandidatinnen wurden 37 in den ersten Reichstag der Weimarer Republik gewählt (später rückten noch vier weitere nach). Bei insgesamt 423 Abgeordneten ergab sich ein Anteil von 9,7 Prozent. Für die damalige Zeit ein sensationeller Wert. In der späteren Bundesrepublik sollte es bis 1983 dauern, bis er wieder erreicht wurde. Erst mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag im Jahr 1983 stieg der Frauenanteil im Bundestag maßgeblich. Die 30-Prozent-Marke wurde erstmals mit der Bundestagswahl 1998 überschritten. Umso schmerzlicher ist der Rückschritt, wenn im jetzigen Parlament mit 30,9 Prozent wieder weniger Frauen vertreten sind. Ursache des geringen Frauenanteils im Bundestag sind insbesondere die Fraktionen der AfD, der CDU/CSU und der FDP. Auf der anderen Seite können die Grünen mit 58 Prozent Frauen aufwarten, die Linke mit
54 Prozent und die SPD mit 42 Prozent. Das Problem der ungleichen Vertretung von Männern und Frauen ist zweifellos auch Ausdruck der politischen Weltbilder in den Parteien. Dazu kommt ein Wahlrecht, das strukturell die Männer begünstigt.

Wahlrecht begünstigt Männer

Unser komplexes Wahlrecht zu verändern ist jedoch nicht so einfach. Es gilt das breit akzeptierte und verankerte personalisierte Verhältniswahlrecht. Mit der Erststimme wählen wir die DirektkandidatInnen im Wahlkreis, mit der Zweitstimme eine Partei. Über die Zweitstimme kommen die KandidatInnen zum Zug, die die Parteien in den Landeslisten aufstellen. Bei der Aufstellung der Listen sorgen Parteien, die in ihren Statuten Quoten verankert haben, selbst für Parität. So handhaben es die Grünen von Anfang an und inzwischen auch SPD und Linke. Bei den anderen Parteien geben nach wie vor die Männer den Ton an. Komplizierter ist es bei den Direktmandaten. Denn die Kandidatenaufstellung für die Wahlkreise geschieht vor Ort und dezentral. Hier Parität herzustellen ist zweifelsohne eine echte Herausforderung. Und viel zu oft sind es dann eben Männer, die für Direktmandate aufgestellt werden. Bei der letzten Bundestagswahl sind von 246 Unions-Abgeordneten lediglich 15 über eine Liste eingezogen, mit 231 der überwiegende Teil über ein Direktmandat. Davon wiederum waren nur 44 Frauen. Zum Vergleich: Bei den Grünen sind es 66 Abgeordnete, die über die Liste in den Bundestag eingezogen sind. Eine Abgeordnete erzielte ein Direktmandat, die erste übrigens bei den Grünen.

Zaghafte Zeichen auch in Union und FDP

Die Erkenntnis, dass die Parteien weiblicher werden müssen, reift inzwischen auch in anderen Parteien heran. Im Mai dieses Jahres beschloss die Frauen-Union der CDU, den Bundestag aufzufordern, mit einem Gesetz für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Ihre Vorsitzende, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz forderte, das Thema Parität bei einer Wahlrechtsreform zu berücksichtigen. Bundeskanzlerin Merkel bezog auf eine Frage der grünen Abgeordneten Katja Dörner zum geringen Frauenanteil im Parlament so Stellung: „[…] wenn die Liste nicht zieht, müssen wir andere Maßnahmen treffen. […] Einfach in den Wahlkreisen vorzuschreiben, wer die Kandidatin sein wird, ohne dass man dort die demokratischen Grundprinzipien beachtet, das dürfte auch nicht der Weg sein. Aber ich bin gerne bereit, in einem parteiübergreifenden Gespräch zu hören, ob Sie gute Vorschläge haben, wie man das bei Direktwahlkreisen auch hinbekommen kann.“ Bei anderer Gelegenheit sagte Merkel – und auch die Kandidatin für den CDU-Parteivorsitz Kramp-Karrenbauer äußerte sich so – , die CDU genüge nicht den „Ansprüchen einer Volkspartei“, weil sie nicht genug Frauen in ihren Reihen habe.

Selbst ausgesprochene QuotengegnerInnen beschleicht langsam ein ungutes Gefühl. Sogar in der FDP gibt es inzwischen einige BefürworterInnen einer Quote, wenn auch dort die Ablehnung überwiegt. Die FDP geht so weit zu behaupten, dass Quoten „Misstrauen gegenüber dem Wähler“ ausdrückten. In einer Arbeitsgruppe will die FDP jetzt Vorschläge für eine Änderung der Arbeitsweise von Parteien und eine andere Sitzungskultur erarbeiten.

Blick über den Rhein

Es ist Zeit, den Frauenrechten zum Durchbruch zu verhelfen. Das scheint in Zivilgesellschaft und Parteien angekommen zu sein. Auch für Parteien gilt die in Artikel 3 des Grundgesetzes verankerte Gleichberechtigung der Geschlechter. Deshalb braucht es eine Debatte über Lösungsansätze. Ein Blick in andere Länder zeigt eine Reihe möglicher Wege für eine bessere Vertretung von Frauen in den Parlamenten: gesetzlich festgelegte Quoten, Parteiquoten, reservierte Mandate für Kandidatinnen oder eine Sanktionierung über die Parteienfinanzierung. Ein Beispiel ist die Parité in Frankreich – ein Modell, für das jüngst sogar Angela Merkel Sympathie erkennen ließ. Der Grundsatz des gleichberechtigten Zugangs von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und Wahlämtern ist in der französischen Verfassung verankert. Das Parité-Gesetz aus dem Jahr 2000 beinhaltet, dass bei der Wahl zur Nationalversammlung die Parteien die gleiche Anzahl von Frauen und Männern in der Gesamtheit der Wahlkreise aufstellen müssen. Verstöße werden über finanzielle Einbußen bei der Erstattung der Wahlkampfkosten sanktioniert. Doch diese Sanktionen wurden häufig einfach in Kauf genommen. Zu verlockend erschien die Aussicht, einen Wahlkreis durch männliche Kandidaten zu gewinnen. Erst die Erhöhung der Strafzahlungen und der Einzug von „La République en Marche“ brachten Fortschritte. Der Frauenanteil in der Nationalversammlung erhöhte sich substanziell. Letztlich zeigte sich hier, dass Sanktionen und Gesetzesregelungen nur bedingt wirksam sind. Vor allem kommt es auf den politischen Willen in den Mehrheitsparteien an, für mehr Frauen auf den Listen und in den Wahlkreisen zu sorgen.

Vorschläge für gesetzliche Lösungen

Es ist der richtige Moment, um über Paritätsgesetze zu diskutieren. Derzeit sind bei Verbänden und WissenschaftlerInnen eine ganze Reihe von Ansätzen im Gespräch. Dazu zählen etwa Sanktionen über die Wahlkampfkostenerstattung nach dem Vorbild des Parité-Gesetzes in Frankreich oder auch eine gesetzliche Quotierung der Parteilisten. Auch für die Direktmandate gibt es Lösungsansätze. Um hier eine Parität herzustellen, gibt es zum Beispiel den Vorschlag, die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren und Doppelwahlkreise einzuführen. In diesen Wahlkreisen tritt jeweils ein Duo aus Mann und Frau zur Wahl an. Ein anderes Modell favorisiert der Gesetzentwurf der grünen Landtagsfraktion aus Brandenburg: Hier wird die Anzahl der Wahlkreise halbiert, pro Wahlkreis würden jeweils der Mann und die Frau mit den meisten Stimmen gewählt. Eins gilt für alle Vorschläge: Sie müssen sehr hohen verfassungsrechtlichen Ansprüchen genügen. Parteienfreiheit und Wahlrechtsgleichheit sind zentrale Prinzipien unseres Grundgesetzes, sie müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

Jetzt handeln

Für uns Grüne, die Wurzeln in der Frauenbewegung und den Feminismus im Programm haben, ist eins klar: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Fehlt die weibliche Hälfte unserer Gesellschaft im Bundestag, dann kann die Arbeit unseres Parlaments der Lebensrealität unseres Landes nicht genügen. Wir Grüne haben derzeit den höchsten Frauenanteil im Bundestag und praktizieren Parität auch bei unseren Listenaufstellungen. Wir wären schon einen Schritt weiter, wenn andere Parteien diesem Beispiel folgen würden. Auch der Blick ins Ausland zeigt, dass der politische Wille entscheidend ist. Wir ergreifen deshalb jetzt die Initiative. Wir wollen einen Prozess mit zivilgesellschaftlichen AkteurInnen und auch zwischen den Fraktionen im Bundestag anstoßen. Jetzt gemeinsam handeln für mehr Frauen in der Politik ist das Ziel. 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts wollen wir nächste Meilensteine setzen.