Flüchtlinge: Wo bleibt die versprochene Unterstützung für die Kommunen?

7. Mai 2015

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger auf der Zuschauertribüne! Lassen Sie mich eingangs kurz sagen: Ich bin immer wieder erschrocken darüber, wie Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, die ja alle auch aus irgendwelchen Wahlkreisen vor Ort kommen, technokratisch und kalt ein solches Thema, mit dem wir alle so verbunden sind, besetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Na, na!)

Ich möchte das jetzt nicht noch aufwerten. Deshalb gehe ich nicht auf einzelne Fragen ein. Aber ich spreche Sie, die Bürgerinnen und Bürger, die heute zuhören oder hier im Saal sind, auch ganz gezielt an. Es gibt so viel Zustimmung. Es gibt so viel Unterstützung. Es gibt so viel Verständnis dafür, dass wir in einer so unglaublich privilegierten Situation in unserem Land leben, weil wir in Frieden leben und weil wir nicht wie Millionen von Kindern, Frauen und Männern vor Krieg, vor Gewalt, vor Terror, vor Diskriminierung fliehen und die Heimat verlassen müssen. Das tun Menschen nicht einfach nur so, aus Lust und Laune, sondern sie fliehen aus Not und Verzweiflung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Verdammt noch einmal, Frau Lindholz, verbinden Sie doch so etwas einmal mit einem solchen Thema! Was glauben Sie denn, was Bürgerinnen und Bürger in den Kirchengemeinden tun? Haben Sie sich den Beschluss der evangelischen Kirche in Deutschland einmal angesehen? Wissen Sie, worüber Menschen vor Ort diskutieren? Es gibt eine breite Zustimmung in der Bevölkerung, dass wir Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen, hier aufnehmen und unterstützen.

(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht strittig!)

Das ist der Punkt, um den es heute geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist der Punkt, um den es auch uns in dieser Debatte geht.

Hören Sie auf, die Menschen, die fliehen, in Fliehende erster und zweiter Klasse einzuteilen! Das steht Ihnen nicht zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie sind nicht die Asylprüfungsverfahrensinstanz. Menschen fliehen, und es gibt hier rechtsstaatliche Prinzipien, nach denen geprüft wird, ob jemand asylberechtigt ist oder nicht. Diese Prüfung steht nicht Ihnen zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Frau Kollegin Haßelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Huber?

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, natürlich.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Bitte schön, Herr Kollege.

Charles M. Huber (CDU/CSU):

Liebe Kollegin, es ist leider Gottes wieder so, dass wir in dieser Diskussion gewisse Fakten unterschlagen. Das hat meine Kollegin vorher schon anklingen lassen. Es gibt wohl einen Unterschied zwischen Flüchtlingen aus Krisengebieten. Ich möchte jetzt nicht von Wirtschaftsflüchtlingen reden; denn Wirtschaftsflucht klingt so, als ob man seine ohnehin akzeptable Lebenssituation verbessern möchte. Ich rede von Armutsflucht.

Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich dessen bewusst sind, welche Zeichen Sie hier in Ihrer emotionalen Rede in Richtung jener Verantwortlichen setzen, aus deren Ländern die Armutsflüchtlinge kommen. Ich möchte auch auf das Bezug nehmen, was Ihre Vorrednerin Frau Jelpke gesagt hat.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Es wäre sehr nett, wenn Sie mich ausreden ließen.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Huber, Sie fragen jetzt die Kollegin Haßelmann.

Charles M. Huber (CDU/CSU):

Gut. – Meine Frage ist, ob Sie sich bewusst sind, welche Signale Sie senden; denn Sie werden diesen Flüchtlingsstrom vergrößern.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Strom, das sind Menschen! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Lassen Sie mich ausreden! – Wir reden hier nicht nur von Menschen, die es geschafft haben, hierherzukommen, sondern wir reden darüber, dass Sie hier die Armutssituation von Menschen politisch ausschlachten, unsere Gesellschaft emotionalisieren

(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und ihr Fakten vorenthalten, was mit Menschen auf dem Weg zur Ablegestelle über das Meer geschieht.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfassbar!)

Haben Sie sich Gedanken gemacht, wie viele Leute in der Wüste enden? Haben Sie sich Gedanken gemacht, wie viele Leute sterben, bevor sie das Ufer erreichen? Sind Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst, wenn Sie hier sagen, wir könnten uneingeschränkt Leute in unserer Gesellschaft aufnehmen? Wissen Sie, was Sie damit verursachen?

Vielen Dank.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist ja widerlich! Das ist die gleiche Argumentation, als wenn man sagt: Wenn wir Schiffe zur Rettung einsetzen, dann kommen noch mehr Flüchtlingsboote rüber! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Können wir uns darauf verständigen, dass jetzt Frau Haßelmann das Wort hat?

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Meine Damen und Herren, noch habe überwiegend ich das Wort. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Huber, seien Sie sich gewiss, dass ich mir meiner Verantwortung, der Verantwortung des Parlamentes und der Verantwortung für dieses Thema sehr bewusst bin. Deshalb kann ich Ihren unfassbaren Beitrag im Hinblick auf die Einschätzung, was Menschen auf der Flucht angeht, nur zurückweisen und Ihnen sagen: Ich teile Ihre Auffassung nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, morgen findet im Kanzleramt ein Treffen statt, zu dem die Kanzlerin eingeladen hat. Es sind acht von sechzehn Ländern eingeladen. Es gibt keine Begründung, keine Erklärung der Bundesregierung, warum nur acht Länder eingeladen sind. Wir haben mehrere Versuche unternommen, herauszufinden, warum acht von sechzehn Ländern eingeladen worden sind. Liegt es an der Farbenlehre, liegt es daran, welcher Ministerpräsident oder welche Ministerpräsidentin interessant ist? Es gibt keinen Sachgrund dafür. Acht sind eingeladen, sechzehn Länder haben wir.

Die Kommunen sind gar nicht mit am Tisch,

(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Die Kommunen gehören zu den Ländern!)

obwohl sie die Hauptakteure sind, meine Damen und Herren. Vor Ort in den Städten und Gemeinden werden Menschen, die auf der Flucht sind, aufgenommen, vor Ort wissen die Leute ganz genau, welche Unterstützung gebraucht wird. Es gibt bis heute keine Erklärung dafür, warum die Kommunen zu diesem Treffen im Kanzleramt nicht eingeladen wurden.

(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Weil die Kommunen zu den Ländern gehören!)

Die Kommunen gehören aber mit an den Tisch; das ist so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Leute vor Ort könnten nämlich genau das einfordern, was auch wir einfordern, was die evangelische Kirche einfordert: Wo ist die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge, die Sie den Ländern längst zugesagt haben? Vor einem halben Jahr ist das zugesagt worden; doch es gibt sie bis heute nicht. Wo ist die Initiative in Ihrem Haushalt oder in Ihrem Nachtragshaushalt zur Erhöhung der Sprachfördermittel, damit endlich alle Menschen -Zugang zu Sprachförderung haben? Wo ist die Initiative zur Ausbildung junger Flüchtlinge, minderjähriger Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen? Wo sind die Unterstützungsleistungen für Integration, für Trauma-beratung der vielen Fliehenden, die traumatisiert sind? All das kommt im Haushalt der Bundesregierung, auch im Nachtragshaushalt, nicht vor. Da ducken Sie sich hier auf Bundesebene, im Parlament einfach weg und machen jetzt eine Besprechung mit acht Ländern, aber auf keinen Fall mit den Hauptakteuren vor Ort; denn die würden von Ihnen einfordern, dass Sie endlich handeln und konkrete Unterstützung bieten bei dieser Aufgabe, die schließlich eine nationale Aufgabe ist. Das dürfen Sie nicht auf dem Rücken der Kommunen austragen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Die Kommunen werden durch die Länder vertreten!)