Es geht um die Existenz kommunaler Verkehrsbetriebe

30. März 2017

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie so aufheulen und wir hier schon einen kleinen Vorgeschmack der nächsten fünf Sitzungswochen bekommen, was das Wahlkampfgeplänkel zwischen Union und SPD angeht, dann kann unser Antrag zu einem fairen Wettbewerb für die kommunalen Verkehrsunternehmen, für die Menschen vor Ort, die den Nahverkehr nutzen, nicht so falsch gewesen sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine kleine Vorbemerkung zur Pkw-Maut: Vorhin fand ein Schlagabtausch zu diesem Thema statt, und man konnte den Eindruck gewinnen, dass eigentlich niemand mehr so recht für dieses unsinnige, bürokratische und europafeindliche Projekt Verantwortung übernehmen will.

(Michael Donth (CDU/CSU): Hey!)

Letzten Freitagmorgen ist dieses Projekt mit Stimmen von Union und SPD wider jede Vernunft hier verabschiedet worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Donth (CDU/CSU): Das ist ein sehr gutes Gesetz!)

- Herr Donth, ganz kurz zu Ihnen: Dass Sie sich hier in einer solch platten Art und Weise im Sinne von: „Wir sind für die Privaten, ihr wollt die Planwirtschaft“ äußern, das hat doch mit Sachverstand nichts zu tun. Ich bitte Sie!

(Michael Donth (CDU/CSU): Doch! So steht es da drin!)

Das ist eins zu eins eine Position, die Sie wahrscheinlich einer Presseerklärung des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer übernommen haben.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Das Problem ist wesentlich komplexer. Die kommunalen Spitzenverbände, 200 Personalräte, Verdi und viele weitere Arbeitnehmervertreterorganisationen, die Sören Bartol eben genannt hat, warnen uns vor diesem Problem und bitten uns darum - und zwar nicht nur die Länder, sondern auch den Gesetzgeber Deutscher Bundestag -, zu sagen: Beim Personenbeförderungsgesetz ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Die Entwicklung geht in die falsche Richtung, wenn es um das Thema „fairer Wettbewerb“ geht. Alle, die sich in den Kommunen, in den Ländern und auch auf Bundesebene mit diesem Thema beschäftigen, wissen, dass es ein Problem gibt, weshalb wir nachsteuern müssen. Deshalb ist es bedauerlich, Herr Donth, dass Sie so eine Linie aufmachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Unterhalten Sie sich doch einmal mit Michael Dreier, dem Bürgermeister von Paderborn. Er hat kein Parteibuch meiner Partei, sondern er ist CDU-Mitglied. Er bittet uns alle darum, sowohl die Landesebene als auch die Bundesebene, endlich aktiv zu werden, weil 2016 viele Verkehrsverträge ausgelaufen sind und weitere 2017 auslaufen, sodass sich die Problematik für die kommunalen Verkehrsträger zuspitzt. Dann wird es schwer sein, dem fairen Wettbewerb überhaupt noch eine Chance zu geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der Grund, weshalb wir das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Es geht um nicht weniger als um die Existenz vieler kommunaler Verkehrsbetriebe.

2012 wurde der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit für private Verkehrsunternehmen im Personenbeförderungsgesetz neu justiert. Derzeit machen sich viele Bürgermeister und Gewerkschafter ernsthaft Sorgen darüber, wie die Zukunft ihrer kommunalen Verkehrsbetriebe aussehen könnte. Sie alle kennen den Fall Pforzheim, wo ein städtischer Verkehrsbetrieb - das wurde bereits von zwei Rednern angesprochen - in den letzten Jahren komplett abgewickelt werden musste, weil eine Tochter der DB Regio eine eigenwirtschaftliche Genehmigung zum Betrieb des gesamten Stadtverkehrs bekommen hatte. In Hildesheim lief es ganz ähnlich. Hier konnte der eigenwirtschaftliche Antrag allerdings gerade noch abgewehrt werden. Was war der Preis dafür? Es mussten veränderte Arbeitsbedingungen vereinbart werden, um den Vertrag noch weiterführen zu können. Das alles geschah auf dem Rücken der Beschäftigten, weil Standards abgesenkt wurden. Das betrifft auch viele andere Städte: Kiel, Leverkusen, Hamm, Gotha, Esslingen, Oldenburg und Saarlouis; um nur ein paar zu nennen. Dort lief es ganz genauso. 2017 werden viele weitere Verkehrsverträge auslaufen. Sich zu positionieren nach dem Motto: „Privat vor Staat, die wollen das alles ganz anders“, ist doch völliger Quatsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sabine Leidig (DIE LINKE))

Wir wollen, dass kommunale Verkehrsunternehmen faire Wettbewerbschancen haben. Das wird durch den beschriebenen Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit verhindert. Ich finde es wichtig, dass wir uns als Deutscher Bundestag dazu verhalten und nicht allein auf den Bundesrat warten oder das Thema nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.

Die Bundesratsinitiative geht nicht nur von einem Bundesland aus, sondern von Nordrhein-Westfalen, von Niedersachsen und von Schleswig-Holstein. Dort regieren Grüne und SPD gemeinsam und haben eine entsprechende Initiative auf den Weg gebracht. Hier im Bundestag ist das für uns aber kein Grund, uns jetzt wegzuducken, uns einen schlanken Fuß zu machen und zu sagen: Bis zum 24. September passiert gar nichts, wir warten auf die Bundesratsinitiative. - Jede und jeder von uns weiß: Eine Bundesratsinitiative kann auch versauern. Sie wird einfach liegengelassen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Frau Kollegin.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Der Bundestag muss sich dazu positionieren, um endlich den fairen Wettbewerb und nicht den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit für Private so festzuschreiben, wie er heute festgeschrieben ist. Das sichert nicht die Zukunft der kommunalen Verkehrsunternehmen. Das verzerrt den Wettbewerb in den Kommunen, den wir an dieser Stelle gar nicht scheuen. Deshalb ist es wichtig, dass sich der Bundestag positioniert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schlagwörter: Daseinsvorsorge , Verkehr , Nahverkehr , ÖPNV