Freihandel: Bundesregierung ignoriert wissenschaftliche Expertise zu CETA und kommunaler Daseinsvorsorge

22. Juli 2016

Im Oktober wird über die vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada entschieden. Es steht viel auf dem Spiel, unsere Standards und die kommunale Daseinsvorsorge können unter Liberalisierungsdruck kommen. Die Politik in Bund, Land und Stadt unter Druck geraten durch millionenschwere Entschädigungsklagen angegriffen zu werden. Wir haben die Regelungen zur kommunalen Daseinsvorsorge genauer unter die Lupe genommen und die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage zu den "Auswirkungen von CETA auf die kommunale Daseinsvorsorge, insbesondere die Wasserwirtschaft " gefragt.

Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Auffassung. Die kommunale Daseinsvorsorge ist in CETA ausreichend vor Liberalisierungsverpflichtungen geschützt. So die durchgängige Argumentation in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage.Sie ist in keiner Weise bereit, sich mit der wissenschaftlichen Expertise auseinanderzusetzen, auf die wir uns in der Kleinen Anfrage beziehen. 

Im Gegenteil: Die Bundesregierung verweist auf die seit 20 Jahren bestehenden Erfahrungen mit dem Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) (Siehe Fragen 1, 7-9, 14). Auf gegenteilige Argumente in den zitierten Gutachten von Markus Krajewski und Martin Nettesheim geht die Bundesregierung nicht ein.

Dabei ist höchst umstritten, ob das vermeintlich seit Jahren bewährte Modell der EU so auch in der neuen Generation bilateraler Handelsabkommen überhaupt noch tragfähig ist. Hierzu führt z. B. das Gutachten von Markus Krajewski aus, dass das EU-Modell der Vorbehalte für öffentliche Dienstleistungen im Kontext der alten Generation von Handelsabkommen (wie GATS) entwickelt worden ist. GATS ist aber grundsätzlich anders aufgebaut: es operiert mit Positivlisten und enthält keine Investitionsschutzbestimmungen mit Klagerechten für Investoren. Die Ausnahme von öffentlichen Dienstleistungen, die über die sogenannte „Public Utilities“-Klausel hinaus gemacht wird, gewinnt im Kontext von CETA also völlig neu an Bedeutung.

Außerdem gelten die Vorbehalte in CETA für Dienstleistungen nicht für den Investitionsschutz und Investitionsschutzklagen (Krajewski 2016, S 4 ff.), die es im GATS überhaupt nicht gegeben hat. Dadurch werden staatliche Regulierungsspielräume im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen eingegrenzt. Das gilt auch für die mangelnde Reichweite der Sektorenausnahmen in der Wasserwirtschaft! So ist z.B. Abwasser in Deutschland aus gutem Grund öffentlich organisiert, obwohl nach GATS teilweise liberalisiert. Allerdings konnten Investoren nach Maßgabe von GATS nicht klagen (siehe z.B. Frage 14 in der Antwort).

Das Argument der Bundesregierung, das EU Modell sei seit 20 Jahren „bewährt“ (Frage 1, 9), vermag deshalb nicht zu überzeugen. Sonderrechte von Investoren in Bezug auf öffentliche Dienstleistungen in der EU waren bisher nicht Gegenstand von Konflikten, weil sie zum einen in den älteren Abkommen nicht vereinbart waren und zum anderen die Abkommen neuerer Generation, die Sonderrechte enthalten, mit Entwicklungs- und Schwellenländern abgeschlossen wurden. Diese haben kein Interesse am Marktzugang zu öffentlichen Dienstleistungen in der EU, sehr wohl aber die EU an einem Marktzugang zu deren öffentlichen Dienstleistungen (siehe hierzu auch Krajewski 2016, 6).

Auch das des öfteren ins Feld geführte „right to regulate“ der Mitgliedsstaaten greift nicht. Die Bundesregierung räumt ein, dass die Aufnahme des „right to regulate“ und anderer Bestimmungen in die Präambel nicht als Schutz vor ausdrücklichen Verpflichtungen im Rest des Abkommens dienen. (Frage 3)

Die Bundesregierung erkennt zwar an, dass Maßnahmen in Bezug auf öffentliche Dienstleistungen nicht von den Investitionsschutzbestimmungen ausgenommen sind und beklagbar werden. (Frage 11) Die Argumentation der Bundesregierung, dass CETA öffentliche Dienstleistungen besser vor Investorenklagen schütze als das Grundgesetz, ist jedoch irreführend und nicht belegt.

Denn die Bundesregierung verkennt völlig, dass die Investitionsschutzbestimmungen in CETA grundsätzlich anders sind als im deutschen Recht: Eigentumsschutz wird nicht gleichberechtigt gegen andere Schutzgüter wie den Umweltschutz abgewogen und es kann auch bei indirekter Enteignung auf Schadensersatz geklagt werden – das ist im Grundgesetz bzw. deutschen Recht grundsätzlich anders aufgebaut, indem der Eigentumsschutz nur eins von vielen Schutzgütern ist und bei indirekter Enteignung nur auf Aufhebung der Maßnahme geklagt werden kann.

Widersprüchlich ist auch, wenn die Bundesregierung am Ende der Frage 11 ausführt "…damit bleibt der Schutz für ausländische Investoren nach CETA im Ergebnis hinter dem Schutz zurück, der nach deutschem Recht insbesondere nach dem Grundgesetz besteht." Richtig ist, dass die Sonderrechte für ausländische Investoren quasi on Top exklusiv zum bestehenden europäischen und nationalen Recht hinzukommen. Investoren können sich aussuchen, ob sie vor nationalen Gerichten klagen oder vor dem besonderen Schiedsgericht – je nachdem, wo sie sich mehr Erfolg versprechen. Der Investor-Staat-Schiedsmechanismus in CETA entspricht auch in der nachverhandelten Fassung (Investment Court System, ICS) nach Auffassung z.B. des Deutschen Richterbundes nicht unseren rechtsstaatlichen Prinzipien und Vorstellungen  (keine Unabhängigkeit der Richter).

Schließlich mogelt sich die Bundesregierung um die Frage des Schutzes vor Investorenklagen herum: In Frage Nr. 23 sagte sie, sie kann ausschließen, dass die Regierung verklagt wird, „es sei denn, sie [die Maßnahme] wäre offensichtlich unverhältnismäßig“. Das bedeutet aber, sie kann es gerade nicht ausschließen, denn wie „offensichtlich unverhältnismäßig“ von einem Schiedsgericht ausgelegt wird, ist gerade der springende Punkt. Anders gesagt: Das BMWi gibt eigentlich zu, was in der Frage steckt: Eine Klage ist möglich.

Fazit:

Die kommunale Daseinsvorsorge und auch die Wasserversorgung sind in CETA nicht ausreichend geschützt.

In der kommunalen Daseinsvorsorge brauchen wir 100 Prozent staatliche und kommunale Autonomie und keine Risiken durch millionenschwere Klagen.

Für die öffentliche Daseinsvorsorge braucht es eine General-Ausnahme, die umfassend und rechtssicher alle öffentlichen Dienstleistungen schützt. 

CETA darf ohne umfassende Ausnahme für die öffentlichen Dienstleistungen, sprich die kommunale Daseinsvorsorge nicht verabschiedet werden. Die Bundesregierung darf CETA im Ministerrat im Oktober so nicht zustimmen, auch nicht vorläufig.

Siehe dazu auch den Artikel auf Spiegel Online: Ceta erlaubt Klagen gegen öffentliche Versorgung in Deutschland.

Schlagwörter: Daseinsvorsorge , CETA , Kommunen