Ein guter Tag für die Demokratie: Menschen mit Behinderungen dürfen an Europawahl teilnehmen

16. April 2019

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. April 2019 entschieden, dass betreute Menschen mit Behinderungen an der kommenden Europawahl teilnehmen dürfen. Der Entscheidung des Gerichts war ein gemeinsamer Eilantrag von Abgeordneten der Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und der FDP vorausgegangen. Der gemeinsame Eilantrag war notwendig, da die Koalition aus Union und SPD monatelang nicht gehandelt hatte.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Erfolg für alle Menschen, die zuvor vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. Einer Studie aus dem Jahr 2016 zufolge betrafen die Wahlrechtsausschlüsse ca. 85.000 Menschen. Damit die betroffenen Menschen an der Wahl teilnehmen können, müssen sie nun noch einen Antrag an das Wahlamt ihrer Kommunen stellen.

GEMEINSAMER WEG NACH KARLSRUHE

Abgeordnete der grünen Bundestagsfraktion hatten am 20. März 2019 gemeinsam mit Abgeordneten der Fraktionen DIE LINKE und FDP eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts beantragt, um sicher zu stellen, dass bestimmte Gruppen von wahlberechtigten Behinderten von der bevorstehenden Europawahl nicht weiter ausgeschlossen werden. Gegenstand des Verfahrens waren Normen des Europawahlgesetzes, die diese pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen haben.

Das Bundesverfassungsgericht hatte solche Wahlrechtsausschlüsse erst kürzlich für verfassungswidrig erklärt. Gegenstand dieser Verhandlungen waren die Regeln für die Bundestagswahlen. Das Europawahlgesetz, das die gleichen ausschließenden Regelungen enthält, war jedoch nicht Gegenstand dieser Entscheidung.

Einschränkungen des Wahlrechts sind verfassungs- und völkerrechtlich nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Diskriminierende Beschränkungen des allgemeinen Wahlrechts sind stets ausgeschlossen. Die entsprechenden Vorschriften des Bundeswahlgesetzes waren vor dem Urteil vom 15. April 2019 schon faktisch aufgehoben. Mit der jetzt erstrittenen einstweiligen Anordnung wurde jedoch erreicht, dass die ca. 85.000 Betroffenen am 26. Mai doch noch die Mitglieder des Europaparlaments wählen können.

Nach dem Bundeswahlgesetz und dem Europawahlgesetz sind all jene Menschen pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer oder eine Betreuerin bestellt ist. Ebenfalls ausgeschlossen sind Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und aufgrund dessen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind.

JAHRELANGES ENGAGEMENT GEGEN WAHLRECHTSAUSSCHLÜSSE

Um endlich die notwendige Änderung am Wahlgesetz auf den Weg zu bringen, hatte die grüne Bundestagsfraktion schon in dieser Wahlperiode bereits vor Monaten erneut einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Doch die Abgeordneten von CDU, CSU und SPD haben die Beratung über Monate verweigert und den Gesetzentwurf immer wieder von der Tagesordnung gestimmt. Am Ende aber haben sie unseren Gesetzentwurf abgelehnt und stattdessen einem eigenen Antrag zugestimmt, der allerdings eine reine Absichtserklärung war und keine rechtliche Wirkung hatte. In der letzten Sitzungswoche im April hat die Koalition dann einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der aber ein Inkrafttreten der Regelung erst nach der Europawahl vorsah. Menschen mit Behinderungen unter Betreuung sollten also erstmal weiter ausgeschlossen bleiben.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Erfolg für die Inklusion und die Demokratie. Zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention wird die Europawahl erstmals inklusiv. Der jahrelange Einsatz für die Abschaffung diskriminierender Wahlrechtsausschlüsse hat sich gelohnt.